Ursachen und Entstehung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ursachen und Entstehung


Solltest du bei einer anderen Person oder bei dir selbst eine akute psychische Krise (z.B. Suizidalität, Psychose, Panikattacke) feststellen und es wird dringend Hilfe benötigt, scheue dich nicht unter den folgenden Nummern anzurufen:

Ärztlicher Bereitschaftsdienst: 116 117

Telefonseelsorge0800 1110111 oder 0800 1110222

Notruf112

Weitere Infos findest du hier

    Die Frage nach dem Warum

    Durchsucht man die Literatur zu depressiven Erkrankungen nach Ursachen und Entstehungstheorien, wird man mittlerweile sehr viele davon finden. Die wenigsten davon erklären für sich allein gestellt jedoch kausal die tatsächliche Entstehung einer Depression.

    Genauso, wie auch menschliches Verhalten multideterminiert, d.h. immer auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist, kann auch die Entstehung einer Depression nicht auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden. Vielmehr spielt die komplexe Wechselwirkung individueller Risikofaktoren (=Vulnerabilitätsfaktoren) und aktueller, psychosozialer Auslöser eine zentrale Rolle.

    Auf der folgenden Seite findest du eine Auswahl möglicher Risikofaktoren und psychsozialer Auslöser sowie ausgewählte Entstehungsmodelle. 

    Risikofaktoren und psychosoziale Auslöser

    • Genetische Veranlagung/Heritabilität: sind Familienangehörige, besonders Verwandte ersten Grades an einer depressiven Störung erkrankt, ist das Risiko selbst zu erkranken ebenfalls erhöht
    • Hormonelle Umstellungen, z.B. im Rahmen der Pubertät, Wechseljahre oder Schwangerschaft/Geburt
    • Körperliche Risikofaktoren: z.B. Stoffwechselstörungen, Adipositas, Infektionen, chronische Erkrankungen, Hypothyreose, chronische Schmerzen
    • Weibliches Geschlecht: Frauen werden häufiger mit einer depressiven Störung diagnostiziert
    • Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit
    • niedriger sozioökonomischer Status
    • (frühkindliche) traumatische Erlebnisse: emotionale und körperliche Misshandlung, Vernachlässigung, Gewalt,Verlusterlebnisse in der Kindheit, Trennung der Eltern
    • Soziale Isolation
    • Bereits bestehende psychische Erkrankungen oder solche, an denen eine Person bereits im Kindes- und Jugendalter erkrankt war
    • Bestimmte Persönlichkeitsstile/Persönlichkeitseigenschaften: z.B. Neurotizismus, geringer Selbstwert
    • Stressauslösende, belastende Lebensereignisse: z.B. Übergang in einen neuen Lebensabschnitt (z.B. Studium), Trennung, Tod einer geliebten Person, Unfall, schwere Krankheit, finanzielle Sorgen, Zeitdruck während des Studiums, erhöhte Arbeitsbelastung, Einsamkeitserleben
    • Lebensstilfaktoren: ungesunde Ernährung, Rauchen, Bewegungsmangel
    • Pro-depressiv wirkende Medikamente (z.B. die Anti-Baby-Pille) oder Abhängigkeit und Entzug von Suchtmitteln (z.B. Alkohol, Kokain, Cannabis)

    Entstehungsmodelle

    Das Bio-Psycho-Soziale Entstehungsmodell

    Zur Erklärung der Entstehung psychischer Störungen, so auch der Depression, wird häufig das bio-psycho-soziale Entstehungsmodell herangezogen. Es vereint Faktoren aus dem biologischen, dem psychologischen und dem sozialen Bereich, welche ungünstig zusammenspielen und so im Gesamten die Entstehung einer depressiven Störung begünstigen können. Im Folgenden ein Beispiel:

     

    ABER: Nur, weil man vielleicht bestimmte Risikofaktoren mitbringt und gleichzeitig mit gewissen Lebensanforderungen konfrontiert ist, bedeutet das nicht zwangsweise, dass daraus auf jeden Fall eine Depression oder eine andere psychische Erkrankung entstehen muss! Diese ungünstigen Kombinationen aus Risikofaktoren und Anforderungen erhöhen lediglich die Wahrscheinlichkeit dafür. Umgekehrt kann auch eine Person, die beispielsweise keine familiäre Vorbelastung mitbringt ebenfalls an einer psychischen Störung erkranken. Es muss nicht einmal immer zwingend ein auslösendes Ereignis geben.

    Des Weiteren gibt es ebenfalls individuelle Schutzfaktoren, die protektiv auf die psychische Gesundheit wirken können. Schutzfaktoren oder Ressourcen umfassen alle Bedingungen, Personen oder Dinge, welche die Resilienz, also unser psychisches Immunsystem stärken und uns dazu befähigen können, psychische Krisen besser zu bewältigen. Darunter fallen z.B. ein gutes Stressmanagement, eine strukturierte Zeitplanung, tiefe zwischenmenschliche Beziehungen, gute Problemlösefähigkeiten, Selbstvertrauen, eine gute Selbstfürsorge, gesunde Ernährung oder Sport.

     

    Merke!

    Unabhängig davon, welches Entstehungsmodell man betrachtet, wird deutlich, dass eine Depression immer aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren entsteht und aufrechterhalten wird. Was an dieser Stelle wichtig ist zu sagen und beim Umgang mit Betroffenen und Angehörigen immer bedacht werden sollte: 

    • Keine Person ist schuld daran an einer Depression (oder einer anderen psychischen Störung) zu erkranken! Wir werden gesellschaftsbedingt nicht selten darauf getrimmt, die Fehler für bestimmte Dinge bei uns selbst zu suchen. In manchen Fällen ist dies auch gerechtfertigt, aber definitiv nicht, wenn es um eine psychische Störung geht! Die Schuldfrage zu stellen ist an dieser Stelle eher kontraproduktiv.

    • Es kann jeden Menschen treffen! Wie oben bereits beschrieben gibt es bestimmte Faktoren, welche die Entstehung einer depressiven Störung begünstigen. Dennoch können beispielweise auch Menschen erkranken, die viel Geld, Besitz haben und scheinbar ein „perfektes“ Leben führen.

    • Und ganz wichtig: auch, wenn eine betroffene Person vielleicht scheinbar alle nur möglichen Risikofaktoren mitbringt, bereits die schlimmsten Dinge miterlebt hat und die Situation aussichtslos erscheint, gibt es immer auch Möglichkeiten und Stellschrauben dagegen zu halten! Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man diese selbst nicht direkt sieht, da die Depression oft nur eine stark eingeschränkte, negative Sicht auf die Dinge gewährt. Es lohnt sich dennoch mit Unterstützung weiter danach zu suchen.

     

    Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell

    Neben dem bio-psycho-sozialen Entstehungsmodell gibt es auch das Vulnerabilitäts-Stress-Modell (oder Diathese-Stress-Modell), welches sich vor allem als visuelle Erklärungshilfe anbietet. Vulnerabilität beschreibt dabei die Verletzlichkeit bzw. die Anfälligkeit einer Person, eine psychische Krise oder schließlich eine psychische Störung zu entwickeln und ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

    Darunter zählen beispielsweise ungünstige soziale Lebens- und Entwicklungsbedingungen, ungünstige (erlernte) Eigenschaften, wie übermäßige Ängstlichkeit, weibliches Geschlecht, der Mangel an einer intimen, emotional positiven und unterstützenden Sozialbeziehung, sowie ein geringes Selbstwertgefühl. Diese Faktoren allein führen jedoch noch nicht zum Ausbruch einer Depression. Erst in Wechselwirkung mit bestimmten Anforderungen/Stressoren können sie dazu beitragen. Unsere Vulnerabilitätsfaktoren, die wir übrigens alle mitbringen, können maßgeblich darüber bestimmen, wie wir mit den Anforderungen unserer Umwelt umgehen. Des Weiteren spielt es auch eine große Rolle, wie Anforderung oder Stressereignis definiert wird. Es kann sich hierbei sowohl um ein traumatisches Lebensereignis (z.B. Tod einer nahestehenden Person), als auch um alltäglichen Stress (z.B. im Beruf) handeln.

    Stellt man sich nun ein Gefäß, z.B. ein Fass vor, sorgen die Vulnerabilitätsfaktoren dafür, dass dieses bereits bis zu einem bestimmten Punkt gefüllt ist. Da der Grad der Vulnerabilität sehr individuell ausfällt, ist auch jedes Fass unterschiedlich hoch gefüllt. Dazukommende Anforderungen und Stressoren tragen dazu bei, dass der Pegel weiter steigt. Natürlich hat jedes Fass aber auch einen Hahn, an dem Flüssigkeit abgelassen werden kann. In unserem Modell ist der Hahn gleichzusetzen mit den bereits beschriebenen Schutzfaktoren oder protektiven Faktoren und den Coping-Mechanismen. Coping-Mechanismen beschreiben die Menge aller Handlungskompetenzen, die es einer Person ermöglichen, flexibel, effizient und über verschiedene Situationen hinweg Anforderungen und Stress zu bewältigen. Habe ich jedoch eher weniger protektive Faktoren, Ressourcen und Coping-Mechanismen, sprich kann weniger gut mit den Anforderungen, die in mein Fass tröpfeln oder rauschen, umgehen, kann es passieren, dass das Fass überläuft und ich eine psychische Krise erlebe, z.B. in Form einer depressiven Episode. In der folgenden Abbildung sind die „Fässer“ von drei verschiedenen Personen dargestellt, die alle eine unterschiedliche Menge an Vulnerabilität und Ressourcen mitbringen, was dazu führt, dass das Fass sich unterschiedlich schnell mit weiterem Stress füllt.

     

    APA [American Psychiatric Association] (2015). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5® (2. korrigierte Auflage). Göttingen: Hogrefe.

    Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungs Leitlinie Unipolare Depression – Leitlinienreport, Version 3.0. 2022 [cited: 2023-09-13]. DOI: 10.6101/AZQ/000494.

    Hautzinger, M. (2010). Akute Depression. Ort: Hogrefe Verlag.

    Hautzinger, M. (2018). Depression. In Margraf, J. & Schneider, S. (Hrsg.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie (4. Auflage). Ort: Springer Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54909-4

    ICD -10- GM Version 2021, Systematisches Verzeichnis, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, Stand: 18. September 2020. Erscheinungsort: Köln.

    Relf-Leonhard, C. & Reif, A. (2021). Affektive Störungen. In Bauer, M., Meyer-Lindenberg, A., Kiefer, F., Philipsen, A. (Hrsg.), Referenz Psychische Störungen. Ort: Georg Thieme Verlag.

    Wittchen, H.-U., Knappe, S. & Hoyer, J. (2020). Was ist Klinische Psychologie? Definitionen, Konzepte und Modelle. In Hoyer, J. & Knappe, S. (Hrsg), Klinische Psychologie und Psychotherapie. Ort: Springer-Verlag https://doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1_1