Digitale Entscheidungsunterstützung zur Förderung von Adhärenz im Gesundheitswesen - Wie Ernährungsberatung und Keimmanagement von Digitalisierung profitieren können

Motivation: Digitale Entscheidungsunterstützung kann gesundheitsrelevantes Verhalten individuell fördern, wenn evidenzbasiertes Faktenwissen im Entscheidungsprozess bereitgestellt wird. Präventivmedizinische Ansätze nutzen entsprechende Methoden der Patientenaufklärung, um langfristige Verhaltensänderungen in Risikopopulationen zu fördern [1]. Möglichkeiten zur Steigerung der Adhärenz sollten jedoch nicht auf Patienten beschränkt bleiben. Der Krankenhaus-Report 2014 berichtet, dass es in ca. 2-4% der deutschen Krankenhausfälle zu vermeidbaren unerwünschten Ereignissen kommt, von denen etwa 20.000 Fälle tödlich verlaufen [2]. Befürworter der Evidenzbasierten Medizin diskutieren entsprechend, wie medizinische Entscheidungen mit Hilfe von ggf. digital verfügbaren Leitlinien abgesichert werden können [3]. An zwei Beispielen werden mögliche Vorgehensweisen vorgestellt und verglichen.

Adhärenz bei Gesundheitsprofessionellen: Die HS-Kaiserslautern und das Westpfalzklinikum Kaiserslautern kooperieren bei der Entwicklung digitaler Unterstützungsmethoden im Management von Patienten mit multiresistenten Erregern. Dazu wurde im Rahmen der durch die Bund-Länder-Förderinitiative "Innovative Hochschule" geförderten Projektes "OD-Pfalz" ein wissensbasiertes System zur Verknüpfung medizinisch-pflegerischen Wissens mit geltende Hygienerichtlinien der RKI-Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention KRINKO prototypisch umgesetzt [4]. Die Adhärenz des Personals beim leitliniengerechten Umsetzen von Hygienevorgaben im Keimmanagement wird durch automatisiert erstellte Reminder- und To-Do-Listen erleichtert, was unstrukturierte Freitexteinträge und Doppelerfassungen reduzieren hilft. Um sowohl stationär wie ambulant arbeitendes Personal der gesamten Versorgungskette fallspezifisch und evidenzbasiert zu unterstützen, wurden Methoden zur Datenintegration, Filterung und Personalisierung für verteilte, sektor- und systemübergreifende Anwendungen entwickelt. Fallspezifisch erzeugte Personas und Szenarien dienen der Simulation von Prozessen im Keimmanagement und zur Vorbereitung einer Evaluierung mit Hilfe von Pilotstudien.

Adhärenz bei Patienten: Das BMBF geförderte Konsortialprojekt DiDiER untersuchte Ansätze zur "Digitalisierung in der Ernährungsberatung". [5] Bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten/ -allergien werden handschriftliche Symptom-Ernährungstagebücher zur Diagnose genutzt, die in Erstellung und Auswertung sehr zeitaufwendig und oft fehlerbehaftet sind. Die Qualität der in der Häuslichkeit gewonnenen Datensätze sind in telemedizinischen Settings von der Adhärenz der Patienten direkt abhängig. Gemeinsam mit dem Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB e.V.) wurden Methoden entwickelt, um patientenseitige Tagebuch-Apps zur Erstellung präziser Datensätze zu nutzen, die eine computergestützte Auswertung ermöglichen [6]. Zum leichteren Erkennen möglicher Allergieauslöser werden Lebensmittelprodukt-Datenbanken mit morphologischen Analysemethoden und Textmining- Algorithmen durchforstet [7]. Eine zur Evaluierung durchgeführte Studie zeigte, dass der engmaschige digitale Kontakt von Ernährungsberatern und Patienten zu einer gesteigerten Adhärenz im Beratungsprozess beitragen kann.

Fazit. Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Die Etablierung digitaler Methoden zur Förderung der Adhärenz im Gesundheitswesen erfordert zielgruppengerechte Analysen der Abläufe und der Belange aller beteiligten Akteure. Um digitale Verfahren zur Adhärenzsteigerung personalseitig zu etablieren, sollten Veränderungen bei Verantwortlichkeiten und Arbeitsbelastungen so gestaltet werden, dass einer grundsätzlichen Verweigerungshaltung vorgebeugt wird. Bei patientenseitiger Datenerhebung kann zudem nicht vorausgesetzt werden, dass medizinische Laien immer in der Lage sind, therapeutisch nutzbare Datensätze zu erzeugen. Die Beurteilung der Usability und ggf. der klinischen Wirksamkeit digitaler Systeme ist unverzichtbarer Bestandteil eines solchen Veränderungsprozesses [8]. Bei individuellen diagnostischen oder therapeutischen Konsequenzen für Patienten müssen Anforderungen des Medizinproduktegesetzes und der MDR (Medical Device Regulation) berücksichtigt werden. 

 

Literaturliste

1.      Spassova, L, Vittore, D, Droste, D, & Rösch, N. (2016) Randomised controlled trial to evaluate the efficacy and usability of a computerised phone-based lifestyle coaching system for primary and secondary prevention of stroke. BMC Neurology, 16, 22. http://doi.org/10.1186/s12883-016-0540-4

2.      Klauber, J, Geraedts, M, Fridrich J, & Wasem J. (2014) Krankenhausreport 2014, Berlin, Stuttgart, Deutschland, Schattauer-Verlag

3.      Haas, P. (2015) Wissensmanagement in der Medizin, Forum 2016 31:28–32, Berlin Heidelberg, Springer-Verlag DOI 10.1007/s12312-015-0012-6

4.      www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Tabelle_gesamt.html

5.      Elfert, P, Eichelberg, M, Tröger, J, Britz, J, Alexandersson, J, Bieber, D, Bauer, J, Teichmann, S, Kuhn, L, Thielen, M, Sauer, J, Münzberg, A, Woizischke, J, Diekmann, R, Rösch, N & Hein, A. (2017) DiDiER - digitized services in dietary counselling for people with increased health risks related to malnutrition and food allergies, Computers and Communications (ISCC), Heraklion, Greece, pp. 100-104.doi: 10.1109/ISCC.2017.8024512

6.      Rösch, N, Münzberg, A, Sauer, J, Arens-Volland, A, Lämmel, S, Teichmann, S, Eichelberg, M& Hein, A. (2019) Digital supported diagnostics in food allergy by analyzing app-based diaries, European Academy of Allergy & Clinical Immunology (EAACI) Congress Lisbon

7.      Münzberg, A, Sauer, J, Lämmel, S, Teichmann, S, Hein, A & Rösch, N. (2019) Optimization and merging of food product data and food composition databases for medical use, European Academy of Allergy & Clinical Immunology (EAACI) Congress Lisbon

8.      Matricardi, PM, Dramburg, S, Alvarez-Perea A et.al. (2020) The role of mobile health technologies in allergy care: An EAACI position paper, Allergy. EAACI and John Wiley and Sons A/S.  2020; 75:259–272.