Ursachen, Prävention und Intervention von Unterrichtsstörungen im digitalen Lernen – ein systematisches Review
Der Burnout-Begriff ist unter Lehrkräften leider kein Fremdwort mehr: „Als besonders belastend empfinden Lehrkräfte […] die häufigen Störungen, die viel von der Unterrichtszeit wegnehmen und auf Dauer zermürben" (Lohmann, 2018, S. 9). Gleichzeitig zeigt beispielsweise eine Studie von Maddeh, Bennour und Souissi (2015) an 28 Schulen der USA, dass dort durchschnittlich 1,2 Unterrichtsstörungen pro Minute (!) im Sportunterricht auftreten.
Unterrichtsstörungen werden nicht zuletzt seit Kounin (1970) vor allem im englisch-sprachigen Raum als Bestandteil des Classroom Managements thematisiert. Mit dem Einzug der Digitalisierung in alle Lebensbereiche, und damit auch in das Bildungswesen, lassen sich neue Möglichkeiten zur Unterrichtsgestaltung realisieren. Im Strategiepapier der Kultusministerkonferenz zur Bildung in der digitalen Welt wird dies als Chance erwähnt und als Anlass genommen, neue Ansätze auf den Weg zu bringen (KMK, 2016). Doch während der wissenschaftliche Diskurs zum Thema Digitalisierung der Bildung wächst, wird der Bereich der Unterrichtsstörungen im digitalen Lernsetting bisher wenig betrachtet. Die zukünftige, störungsarme, digitale Unterrichtsgestaltung profitiert von einer wissenschaftlichen Begleitung vom Anfang an. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer grundlegenden Forschung im Bereich der Unterrichtsstörungen im digitalen Lernen.
Methodik
Bisherige Reviews in diesem Bereich (Cho, Mansfield & Claughton, 2020) beschränken sich auf Literatursuche in einer Datenbank und differenzieren den Digitalisierungsbegriff wenig. Gerade das neue Forschungsfeld des digitalen Lernens bedarf einer strukturierten Befassung. Deswegen soll als grundlegende Arbeit für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema ein systematisches Review internationaler Zeitschriftenaufsätze dienen, welches die Suche auf mehrere Datenbanken ausweitet und einen differenzierteren Begriff von Digitalisierung in der Bildung schafft. Als Datenbanken werden hierfür das Education Resources Information Center (ERIC), die Academic Search Ultimate (via EBSCOhost) und das Web of Science genutzt. Zur Sicherung der Aktualität und Qualität werden nur Artikel einbezogen, die dem Peer-Review-Verfahren unterzogen worden und nicht älter als 10 Jahre sind.
Ergebnisse
Markantester Unterschied zu bisherigen Forschungen hinsichtlich Unterrichtsstörungen im digitalen Lernen ist die Differenzierung zwischen Online- und Präsenzlehre. Während bei der Präsenzlehre alle Akteur*innen physisch am selben Ort anwesend sind und sich Digitalisierung durch die Verwendung digitaler Medien und smarter Technologie auszeichnet, dient eine digitale Infrastruktur der Onlinelehre als Grundlage und ermöglicht eine örtliche Trennung aller Akteur*innen. Die teilweise inkonsistenten oder synonym verwendeten Begriffe aus dem Bereich der Digitalisierung erfahren eine inhaltliche Kategorisierung in ein einheitliches System. Anhand dieser Struktur lässt sich eine weitere Unterteilung mit Bezug auf Ursachen, präventives oder intervenierendes Verhalten in Bezug auf Unterrichtsstörungen vornehmen. Anzunehmen ist, dass nach dieser mehrfachen Kategorisierung die einzelnen Vertreter der Kategorien überschaubarer Anzahl sind und weiterer Forschungsbedarf aufgedeckt wird. Insbesondere für den Sportunterricht mit seinem Alleinstellungsmerkmal der Bewegung werden sich voraussichtlich Besonderheiten und spezifische Störungen beim digitalen Lernen zeigen.
Diskussion und Ausblick
Das Review schafft die Grundlage für weitere Forschungs- und Publikationsvorhaben. Gleichzeitig dient die vorgenommene Systematisierung des Digitalisierungsbegriffs als Anregung zur weiteren Diskussion. Länger erforschte Themengebiete wie das Classroom Management lassen sich somit einfacher um Schnittstellen zur Digitalisierung erweitern. Neben der Wissenschaft profitieren vor allem angehende und praktizierende Lehrer*innen von diesen Ergebnissen. Vor allem im Hinblick auf die hohen Belastungsfaktoren des Lehrberufs und den damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren, können aufbauende Forschungen wegweisende Erkenntnisse bewirken.
Literaturliste:
Cho, V., Mansfield, K. C. & Claughton, J. (2020). The past and future technology in classroom management and school discipline: A systematic review. Teaching and Teacher Education, 90. doi:10.1016/j.tate.2020.103037
Kounin, J. S. (1970). Discipline and group management in classrooms. New York: Holt Rinehart & Winston.
Kultusministerkonferenz (KMK) (2016). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. Zugriff unter www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf (Stand: 10.07.2020).
Lohmann, G. (2018). Mit Schülern klarkommen. Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten (Scriptor-Praxis Sekundarstufe I+II, 13. Auflage). Berlin: Cornelsen.
Maddeh, T., Bennour, N. & Souissi, N. (2015). Study of Students’ Disruptive Behavior in High School Education in Physical Education Classes. Advances in Physical Education, 5, 143-151. doi:10.4236/ape.2015.53018